Knochen auf Urlaub

Knochen auf Urlaub

„Knochen auf Urlaub “ Germany 2024, Dokumentarfilm, 85 min, ein filmisches Portrait über die Berliner Künstlerin Verena Herb und die Bestatterin Gabi Kohn.

Der Film wurde offiziell zu den 58. Internationalen Hofer Filmtage eingeladen. Die Filmfestspiele finden in der Zeit vom 22. -27.10 2024 statt.  

Bei den 58. INTERNATIONALEN FILMTAGEN IN HOF sind die Termine für die Filmvorführungen am:

Donnerstag, den 24. October um 14.45h im Kino 1

Freitag den 25.10. Oktoner um 19.45h im Scala 2

Samstag den 26.10. Oktober um 12:30h im Scala 2

Link zu den 58. Internationalen Filmtage Hof: https://www.hofer-filmtage.com/de/  

 Synopsis:  

In „Knochen auf Urlaub“ verfolgt der Filmemacher über Jahre die Schicksale zweier Frauen, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit dem Sterben befassen, und setzt sich selbst dabei mit dem Verlust von Freunden und unverarbeiteter Trauer auseinander. Die Berliner Künstlerin Verena Herb kämpft seit vielen Jahren mit dem Krebs. In ihrer Malerei thematisiert sie unter anderem ihre Erkrankung und verarbeitet die damit verbundene Todesangst. Für das Meer, die Frauen und die Tiere schlägt ihr Herz. Getreu dem Motto „wenn nicht jetzt, wann dann?“ macht sich Verena auf nach Indien zum Ozean, ihrer womöglich letzten Reise, bei der sie von ihren Freunden Pit, Michael und dessen Partner Carsten begleitet wird. Gabi Kohn ist in Berlin eine geschätzte Bestatterin. Das Thema „Sterben“ ist für sie eine Herzensangelegenheit. Sie gibt auch den Angehörigen Raum für ihre Ängste und ihren Seelenschmerz und begleitete bereits zahlreiche Menschen einfühlsam auf ihrem letzten Weg. Die relative Gewissheit des baldigen Todes und die erhoffte Selbstbestimmung, sowie die Gefühlsambivalenz der Betroffenen und derer, die zurückbleiben werden, sind die zentralen Themen des Films.  

 

Knochen auf Urlaub – Directors Note´s

Bei „Knochen auf Urlaub“ handelt sich um einen 84 min No- Budget Dokumentarfilm, an dem sich alle Beteiligten fast ausschliesslich unentgeltlich seit bereits einigen Jahren einbringen. Ähnlich wie bei meinem Film „Postcard To Daddy“ haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und produzieren Filme aus eigenen Mittel und mit der Unterstützung/Spenden durch Freunde. Mit dieser Unabhängigkeit und einem kleinem Team ist es gelungen gemeinsame intime, liebevolle und wichtige Augenblicke festzuhalten. Dieser Film entstand aus und neben unserer aller Leben, in Jobs, im Alltag, in kleinen wie großen Reisen, sowie der Fragen über das Begleiten und die Verlustangst, die uns alle beschäftigten. Die ganze Ambivalenz des „Sterbens“ und die Unplanbarkeit, welche Geschichte das Leben am Ende für jeden einzelnen schreiben wird, hat uns zu einem einzigartigen Erlebnis geführt. Wir haben diesen Film nie wirklich konzipiert, vielmehr hat er sich uns offenbart, Stück für Stück, wie ein Puzzle in den letzten 6 Jahren.

Kontakt & Weltvertrieb

MiCa Film Productions
Michael Stock & Natalia Vitovtov

Metzer Str. 18
D-10405 Berlin / Germany

Phone: +49-176-80636508
Phone: +49-176-31421588
michael-stock@gmx.de

n.vitovtov@gmail.com

Zu den Darsteller*innen:

Verena Herb – Fine Arts

Die Gesamtheit der schöpferischen Produktion der Künstlerin Verena Herb läßt sich in verschiedene chronologische Abschnitte unterteilen. So gibt es zum Beispiel einen Zeitabschnitt in dem die Knochenbilder entstanden sind und dem folgte die Produktion von Bildern mit landschaftsähnlichen Motiven. Erst wenn ein Bildthema hinsichtlich der unendlichen Möglichkeiten in Komposition, Farbigkeit und Format ausgiebig behandelt und dann abgeschlossen wurde, wendet sich die Künstlerin neuen Inhalten zu. In Folge dieser Arbeitsweise entstehen Bilder die als zusammenhängende Serie gesehen werden können, doch jedes einzelne Bild enthält genügend Ausdruckskraft um auch außerhalb der Serie als eigenständiges Werk bestehen zu können (eine Ausnahme bilden nur einige wenige Bilder innerhalb der Serie, die gesondert als Diptychon oder Triptychon ausgeführt wurden und damit untrennbar miteinander verbunden sind).

Hört sich das nach einem Konzept an, so ist Verena Herb doch weit von Konzeptkunst entfernt. Im Unterschied zu konzeptuellen Werken sind Emotionen in ihrer Kunst von großer Bedeutung. In ihrer Farbwahl ist die Künstlerin oft expressiv und die Objekte auf den Bildern sind surreal. In den kleineren Bildern ist ihre Arbeitsweise eine ohne Umwege direkte malerische Umsetzung mit der Intention, daß der Betrachter sich ebenso direkt angesprochen fühlt. Wie unmittelbar diese Ausdrucksfindung sein kann, ist auf einigen Skizzen zu sehen, in denen die Künstlerin ihre Empfindungen während der Schaffensphase auf die Bilder geschrieben hat. Sind diese kleinformatigen Bilder noch Resultate einer mehr gestischen Malerei, werden die größeren Bilder zunehmend intensiv ausgearbeitet. Spontan entstandene Bildelemente werden nur dann nicht detailierter ausgearbeitet wenn sie zur allgemeinen Ausdruckskraft des Bildes beitragen können. In diesem Fällen steigert die Künstlerin durch das Nebeneinander von dynamischer und detaillierter Maltechnik die Spannung im Bild. Andere Bilder ziehen ihre Wirkungskraft dagegen ausschließlich aus ihrer klaren Bildkomposition und den großen Flächen in leuchtkräftigen Farben.

Verena Herb – Abstrakt (Auswahl)

Verena Herb hat eine eigene Bildsprache entwickelt und verändert diese mit jedem neuen Produktionsabschnitt. Ausgangspunkt für eine Stilveränderung ist immer ein unvorhersehbares oder herausragendes Ereignis – positiv oder negativ – im Leben der Künstlerin. Diese Ereignisse bestimmen, ob die Bildinhalte stark abstrahiert werden oder ob eine Wiedererkennung der dargestellten Formen beabsichtigt ist. Einige Bilder sind wie aus einer Traumwelt, während andere Bilder durch die zweifelsfreie Identifikation einzelner Bildteile in ihrer Aussage konkreter sind, vereinzelt sogar als Gesamtansicht direkt nach einem Vorbild aus der Natur entstanden sein könnten. An verschiedenen Stellen bereichert die Künstlerin die Natur aber auch um ungegenständliche Details wie aus Colourfield Painting oder Abstrakten Expressionismus. Durch die Kombination von Stilleben, Landschaftsbild, abstrakter und expressiver Malerei entsteht eine außerordentlich große Spannung und Ausdruckskraft in den Bildern, weshalb die meisten interessierten Betrachter auf Anhieb von den Arbeiten gefangen und begeistert sind. Auch wenn viele Bildinhalte auf sehr private Empfindungen der Künstlerin zurückgehen, hat doch jeder – aus eigener Erfahrung – einen Bezug zu den dargestellten Urmotiven wie Wasser, Stein, Himmel, Knochen und Erde.

Weil die Ölfarben so frisch und klar sind, an manchen Stellen sogar die Struktur der Leinwand noch zu sehen ist, wirken die Bilder überaus luftig. Die Künstlerin spielt und experimentiert mit den Farben und Formen. Übergreifend gibt es ein positives Lebensgefühl, einige Ölbilder sind voller Humor, aber es gibt auch Bilder die kritisch auf Kunstgeschichte eingehen oder in denen sich der Humor in Galgenhumor verwandelt hat. Bleibt als Résumé, daß die Kunst von Verena Herb deshalb so erfrischend daherkommt, weil die Protagonistin sich nicht auf eine „gutgehende Masche“ einläßt, sondern ihre Motive immer neu erfindet und somit für die Zukunft noch mit guter Kunst zu rechnen ist.

Ulrich R. Treder

Verena Herb – Tierwelt (Auswahl). Im Rahmen der Berliner Premiere von KKNOCHEN AUF URLAUB planen wir eine Ausstellung mit Bildern der Künstlerin. Die Bilder können erworben werden. Ein Teil des Erlöses soll nach dem Wunsch von Verena in den Tierschutz fließen.

 

Nachruf auf Gabi Kohn: „Ich dachte, wir Bestatter sterben nie!“

Sie hieß einmal Yasmina, war sanft und eher scheu. Das alles wollte sie weit hinter sich lassen. Yasmina und Gabi. Yasmina, das angepasste, sanftmütige Mädchen, Gabi, die entschlossene, rebellische Frau. Der Beschreibung Gabis stimmen alle Freunde ohne Zögern zu. Sie war energisch, sie sagte, was sie dachte, was sie wollte. Allein ihr Kopf, der lange, gerade Hals, die dichten, dunklen Haare, der klare, zugewandte Blick hinter den großen, runden Brillengläsern. Dazu die Stimme, eine Bruststimme in Alt, die jeden weich und voll umfing. Ihr perfekter Satzbau, als könne man die Semikolons, Doppelpunkte und Anführungszeichen hören. Und dabei klang sie nie gespreizt und altmodisch, sondern höchst lebendig.

Yasmina dagegen: unsicher, unsichtbar?

Yasmina und Gabi waren ein und derselbe Mensch: Yasmina, das Mädchen, Gabi die Frau, die sich aus unguten Kindheitsumständen befreit hatte. Der Name war der Anfang, das erste, äußere Zeichen dieser Verwandlung. Von Yasmina hat Gabi ihren Freunden nur in Andeutungen erzählt. Virginia, die ältere Schwester, weiß mehr.

Die Eltern hatten sich in Berlin kennengelernt, zwei Töchter und ein Sohn kamen zur Welt. Die Mutter arbeitete als Köchin in einer Kita, in die auch ihre drei Kinder gingen. Der Vater war Maurer, kam aus Tunesien und hatte ein Alkoholproblem. Wenn er trank, wurde er gewalttätig. Er schubste und stieß und schlug die ältere Tochter, den Bruder und vor allem die Mutter. Yasmina verschonte er. Lange fehlte der Mutter die Kraft, sich von ihrem Mann zu lösen. Bis es so schlimm wurde, dass sie die Kinder nahm und mit ihnen in ein Frauenhaus floh. Nachts lagen alle in ihren Betten, weinten, hörten auf jedes Geräusch. Bis auf Yasmina. Sie schlief tief und fest.

Der Vater flehte: Komm wieder nach Hause! Ich bessere mich!

Der Vater ließ nicht locker. Flehte seine Frau an: Komm wieder nach Hause! Ich bessere mich! Ich verspreche es! Ich schwöre es! Die Mutter gab nach, nichts wurde besser.

Irgendwann im Jahr 1978 buchte der Vater einen Flug nach Genua und die Schiffspassage von Genua nach Tunesien, eine Ferienreise zu fünft, wie er sagte. Die Mutter war einverstanden. Als sie dann allesamt in Tunis, bei der Familie des Vaters, eintrafen, eröffnete er: „Ihr kommt hier nicht mehr raus!“ Virginia, Yasminas Schwester, erinnert sich an diesen Satz deutlich. Sie steckten fest.

Die Mutter hatte von nichts eine Ahnung. Nicht davon, dass sie in Tunesien keinerlei Rechte als Mutter besaß. Dass, juristisch, allein die Männer das Sagen hatten. Was nun? Sie richteten sich ein, so gut es eben ging. Wohnten erst bei der tunesischen Familie, zogen dann in ein Haus in Sousse, einer Hafenstadt am Mittelmeer, rund 130 Kilometer südlich von Tunis.

Yasmina besuchte eine Schule, lernte ein bisschen Arabisch, ein bisschen Französisch. Sie mochte es, bei den Frauen zu sein, bei der Großmutter, den Tanten, den Cousinen. Sobald aber Männer auftauchten, schwand die heitere Atmosphäre.

 

Würden sie für immer hier bleiben müssen?

In einer Hinsicht allerdings besserte sich die Situation: Der Vater trank kaum noch, er war wesentlich weniger gewalttätig. Dennoch saß der Schreck tief. Ein halbes Jahr verging. Würden sie für immer hier bleiben müssen? Es sah ganz danach aus. Denn der Vater schlug der Mutter vor, gemeinsam nach Berlin zu fliegen, um die Wohnung dort aufzulösen, Deutschland ganz und gar hinter sich zu lassen.

Auch dem stimmte sie zu. Sie machten sich auf den Weg, die Kinder blieben bei der Großmutter. Nachdem in Berlin alles erledigt war, flog der Vater zurück nach Tunesien, die Mutter sollte ein paar Tage später nachkommen. Sie ging in ein Reisebüro, wollte den Flug buchen. Und dort, mitten unter den fremden Leuten, begann sie zu weinen. Hörte nicht mehr auf zu weinen. Eine Frau wandte sich besorgt an sie. Und die Mutter begann zu erzählen.

Es stellte sich heraus, dass diese Frau eine Frauenrechtlerin war. Sie nahm sich der Sache an, kontaktierte zwei Rechtsanwältinnen. Ein Plan wurde entworfen und schleunigst umgesetzt: Die Anwältinnen riefen Virginia, die Älteste, im Haus der Großmutter an. Sie sollte mit den jüngeren Geschwistern an einem festgelegten Tag zu einer festgelegten Stunde an einer Bushaltestelle warten. Die Anwältinnen würden sie dort abholen.

Es kam der Tag, Virginia lief mit den beiden anderen los, setze sich an den verabredeten Ort, die Anwältinnen kamen, sie fuhren zum Flughafen, bestiegen die Maschine, landeten in Berlin. Am Abend erreichte die Mutter ein Telegramm des Vaters: „Du hast gewonnen.“

Die Polizei forderte die Mutter auf, fortzuziehen und die Identität der Kinder zu verschleiern, man wisse nie, wie der Vater noch reagieren könne.

Hier endet die Geschichte der sanftmütigen Yasmina. Hier beginnt jene der entschlossenen Gabi, die sich diesen deutschen Allerweltsnamen ausdrücklich wünschte, um das Yasmina-Leben zu begraben. Wenn ihre Schwester mit ihr über die Geschehnisse damals sprechen wollte, sagte Gabi nur: „Ich kann mich nicht erinnern.“

In Bodelshausen bei Tübingen, wo die Familie nun lebte, kroch Gabi aus ihrem Kokon. Sie ging tanzen. Sie fuhr als Au-pair nach Mexiko. Sie legte sich eine Art pubertärer Pampigkeit zu. Fragte jemand: „Warum guckst du so blöd?“, pfefferte sie zurück: „Du guckst doch selbst blöd.“ Virginia sagt: „Sie war meine Lieblingsrevoluzzerin. Nichts konnte unkommentiert bleiben.“

„Ich will die Welt retten!“

Nach der Schule wurde Gabi Rechtsanwaltsgehilfin, arbeitete nach der Ausbildung in einer renommierten Tübinger Kanzlei, die für ihren Geschmack allerdings zu viele ohnehin Erwählte, Wohlhabende vertrat. Sie wollte lieber bei der Unterstützung derjenigen helfen, die macht- und schutzlos waren im Gewirr von Gesetzen und Verordnungen. Wechselte deshalb zu einer kleinen linken Sozietät, die sich für politisch Verfolgte und von Abschiebung Betroffene einsetzte. In Berlin, wohin sie 1996 zurückkehrte, setzte sie diese Arbeit in einem Anwaltsbüro am Mehringdamm fort. Sie spielte mit dem Gedanken, Juristin zu werden, einfach weil ihr dieser Satz vorschwebte: „Ich will die Welt retten!“ Sie schrieb sich an der Uni ein, brach das Studium nach kurzer Zeit aber wieder ab. Alles viel zu theoretisch. Sie wollte es konkret, sofort und engagierte sich im „Ermittlungsausschuss“, einer Rechtshilfegruppe, die sich um Festgenommene von linken Demonstrationen kümmert und Rechtsanwälte vermittelt, etwa für Aktivisten beim G8-Gipfel 2001 in Genua, wo Hunderttausende auf die Straße gingen und etliche der Polizeigewalt ausgesetzt waren und ohne Rechtshilfebeistand in Untersuchungshaft gerieten.

Als sie als Anwaltsgehilfin anfing, hatte sie gesagt: Ich mach‘ das 25 Jahre, dann kommt was anderes. Und es kam etwas anderes, nach 25 Jahren. Eine Freundin brachte sie auf die Idee: Wie wär’s mit Bestatterin?

Ohne es erklären zu können, hatte Gabi auf der Stelle das Gefühl, dass es genau das war, was sie wollte. Sie absolvierte ein Praktikum bei einer Bestatterin in Freiburg und war sich danach noch sicherer als zuvor.

Sie sagte, sooft es jemand hören wollte: Ich habe den schönsten Beruf auf der Welt! Natürlich kamen die Fragen: Macht es dir nichts aus, ständig mit dem Tod umzugehen? Ist es nicht erschütternd, Menschen im tiefsten Schmerz zu begleiten? Und letztlich meinten sie: Kommst du dem Tod nicht viel zu nah?

Denn er hält sich fern von unseren Wohnungen und Häusern, erscheint bevorzugt in Krankenhäusern und Pflegeheimen, gern außerhalb der Besuchszeiten. Er ist wie eine lästige Krankheit, von der sich die Lebenden nicht anstecken lassen dürfen. „Ich habe natürlich auch eine Höllenangst vorm Sterben“, sagte sie in einem Radiointerview. „Aber ich habe nicht so eine Angst vor dem Tod.“ In Mexiko hatte Gabi gelernt, dass der Tod nicht nur ein graues, furchteinflößendes Wesen ist. In Mexiko ist der Día de los Muertos, der Tag der Toten, ein Fest. Die Leute gehen auf die Friedhöfe, hören Musik, tanzen, essen, trinken, die Toten kehren für ein paar Stunden zu den Lebenden zurück.

 

Keine verlegenen, keine verlogenen Worte mehr

Gabi schaute sich das oft trostlose aber teure Trauergeschehen hierzulande an. Sie wollte das alles grundsätzlich anders machen und gründete 2011 zusammen mit Kollegen ein eigenes Bestattungsunternehmen. Keine verlegenen, keine verlogenen Worte mehr in die Gesichter der Hinterbliebenen. Kein mechanisches Kondolieren. Keine phantastischen Preise. Oft rezitierte sie zwei Zeilen aus Mascha Kalèkos Gedicht „Memento“: „Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur,/ Doch mit dem Tod der andern muss man leben.“

„Mein allererstes Ziel ist es“, erläuterte sie im Radio, „dass ich den Menschen einen guten Abschied ermögliche, in welcher Form auch immer sie Abschied nehmen möchten.“  Wenn jemand den Sarg bunt anmalen wollte – gerne! Wenn ein buddhistisches Ritual gefragt war – lasst es uns in die Zeremonie aufnehmen! Ein paarmal beantragte Gabi bei der Polizei die Absperrung ganzer Straßen, weil die Trauerzüge so lang waren.

Zeit ist vor allem wichtig, Ruhe, nicht ein hastiges Sargaussuchen, schnell, schnell ein paar Blumen, zusammengestückelte, inhaltsleere Sätze über ein ganzes Leben. Sie hörte zu. Suchte nach mutmaßlichen Wünschen der Verstorbenen, verknüpfte sie mit den Wünschen der Hinterbliebenen. Gab beiden eine Stimme. Zwischen Tod und Beerdigung vergehen oft Wochen. In dieser Zeit entstanden häufig enge Verbindungen mit den Angehörigen. Dass sie die Trauer der Menschen nicht zu ihrer eigenen machen durfte, war ihr immer klar. Sie musste sich ihnen zuwenden und zugleich den Schmerz von sich fernhalten. Wie sonst sollte sie Trost und Stabilität spenden?

Einmal war es anders. Sie begleitete eine Frau, deren Mutter gestorben war. Bei der Trauerfeier saß sie in der Kirchenbank, alle stimmten „Wer einst stirbt“ an, und Gabi dachte bei sich, dass sich dieses Lied auch ihre Mutter wünschen würde. Sie begann, schmerzlich zu weinen.

Und die alte Geschichte, als Gabi noch Yasmina war? 1992 hat sie noch einmal ihren Vater in Tunesien besucht. Es waren zwei schöne Wochen, sie lernte die neue Familie des Vaters kennen, ihre Halbgeschwister, sie lachten viel. Doch am Ende der Reise sagte Gabi: Ich komme hier nie wieder her. Ein Schlussstrich, obwohl alles gut gelaufen war. Die Gespenster der Kindheit blieben, trotz Sonne, Strand und Heiterkeit.

Der Vater starb einige Jahre später. Gabi entschied, eine Therapie zu machen, kaum jemand wusste davon. Sie zeigte sich weiter als diese energische, selbstbestimmte Person, mit der alle befreundet sein wollten. Kennt ihr euch?, fragte sie einmal ein Freund verwundert im Supermarkt und wies auf die Kassiererin. Nein, sie kannten sich nicht, Gabi hatte sich der Frau einfach nur herzlich plaudernd zugewandt.

Sehr früh am Morgen stand sie vor allen anderen auf, setzte sich mit einem Kaffee in die Küche und erledigte ihre Korrespondenz, sie war überpünktlich, sie ging vor allen anderen schlafen. Bei einer Kaffeetafel zupfte sie an allen hübsch in der Mitte aufgebauten Kuchenstücken herum und probierte ungeniert jede Sorte. Die irritierten Blicke schien sie gar nicht zu bemerken. Sie stritt sich, mischte sich ungefragt in die Kindererziehung anderer ein. Ihre Schwester erzählt, dass Gabi auch ungnädig sein konnte: Entweder sie hat jemanden bis ins Grab geliebt oder sich getrennt. Sie wollte nie mehr Yasmina sein, das angepasste, verzagte Mädchen!

Dann kam die Krankheit. Tumor, ein grauenhaftes Wort, im Französischen klingt die Konsequenz ganz deutlich mit: tu meurs, du stirbst. Gabi war ein rationaler Mensch und doch steckte da dieses magische Denken in ihrem Kopf. „Ich dachte“, sagte sie, „wir Bestatter sterben nie!“ Als sei sie, weil sie sich ununterbrochen mit dem Tod auseinandersetzte, vor ihm geschützt. Als hätte sie eine kameradschaftliche Beziehung zu ihm. Gab es denn jetzt keine Chance, mit dem alten Bekannten in Verhandlung zu treten?

Seit der ersten Diagnose im Mai 2018 hockte der Krebs in ihr, auch wenn es zwischendurch, für ein kleines halbes Jahr, so schien, als wäre er fort. Sie entschied sich noch einmal, etwas Neues zu wagen. Die Arbeit im Bestattungskollektiv hatte sie erschöpft, zu viel Papierkram, Spannungen mit den Kollegen. Jetzt machte sie ihr eigenes Bestattungsbüro auf, ein Raum in der Genezarethkirche am Herrfurthplatz, Neukölln, sie fand noch immer, sie habe  den schönsten Beruf auf der Welt.

Die Chemotherapien schlugen nicht an. Ihre Halbgeschwister aus Tunesien baten darum, noch einmal Kontakt mit ihr aufnehmen zu dürfen. Gabi überlegte eine Weile. Und stimmte dann zu.

Sie sagte einen Satz, immer wieder: „Ich hab wahnsinnig Bock, weiterzuleben!“ Und, ganz am Ende, als ihre Angst vorm Sterben doch noch gewichen war, einen letzten: „Endlich schlafen.“

Erschienen am 12.04.2023 im Tagesspiegel

 

In memory of

VERENA HERB

GABI KOHN

RÉMI KALTENBACH

FRANK BELLÉE

GUIDO DIEK

JÖRG DAUSCHER

JÖRG KALLENBACH

ANDREAS HERDER

MICHAEL HIRT

Cast

VERENA HERB

GABI KOHN

PIT VAN DE LOO

PETER KNOCH

BJELA PROKOVSKY

MARCO AMMAN

MICHAEL STOCK

CARSTEN CIEROCKI

MARIA SCHUSTER

PRIYA PAGI

VIRGINIA FAYROUZ BRAUN

JASMIN EL-MANHY

BARBARA TILL

BIRGIT DYFFORT

DOREEN KUTZKE

FRAUENCHOR NEUKÖLLN

and many more…

Crew

Producer

LEO SCHÖNING

Co-Producer

MICHAEL STOCK

Line-Producer

NATAILIA VITOVTOV

Director & DOP

MICHAEL STOCK

Co-Director

NATALIA VITOVTOV

Assistant Directors

VALERIE HERRMANN

STEFAN KUSCHNER

Editors

MICHAEL STOCK

FRANZISKA MENZ

THEO PERROT

Technical Director

TORSTEN ASSMANN

Post-Producer & Supervisor

NATALIA VITOVTOV

Conforming Artist

CLEMENS MEUSEL

Sounddesign

HELEN NEIKES

Sound Mixer

HELEN NEIKES

CHRISTOPH OERTEL

Foley Artist

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Conforming Artist

HELEN NEIKES

CHRISTOPH OERTEL

Foley Recording

HELEN NEIKES

CHRISTOPH OERTEL

Senior Colorist

CHRISTIAN KRÖHL

Junior Colorist

JAKOB FUSS

Musical Direction

LEO SCHÖNING

Composers

JOSEF TIEKS

HELEN NEIKES

EKLIPSE ORCHESTRA

THE NOISE COOPERATION

Performers

MARIKA BRAUER

BJELA PROKOVSKY

ANDREAS KRAMPF

MATTHIAS HÜBNER

FALK SCHÖNFELD

HELEN NEIKES

JOSEF TIEKS

Dramaturgical Consulting

KRISTIAN PETERSEN

SUSANNE DZEIK

JOCHEN HICK

TONI KARAT

BIRGIT BOSOLT

PARTICIA GUSOVIUS

THORSTEN ASSMANN

Photography

ATTILA HARDWIG

Photo Archive

MARGARETE HEITMÜLLER

MICHAEL STOCK

Second Unit Camera

THOMAS BLUM

CARSTEN CIEROCKI

VALERIE HERRMANN

STEFAN KUSCHNER

ELMAR HÜTTL

3rd Party Material/Camera

MICHAEL SCHWARZ

ALEXANDER GRIESSER

JULIO MARQUEZ

Translation/Subtitles

VALERIE HERRMANN

CARSTEN CIEROCKI

MICHAEL STOCK

Translation/subtitles

VALERIE HERRMANN

CARSTEN CIEROCKU

MICHAEL STOCK

Location Manager India

KATRIN BITTLER

ANDY NERING

Driver, Goa/India

TIJAN MUDKUDKAV

Catering

CARSTEN CIEROCKI

Music Titles

„Mumbai Theme Eklipse“

Composer

TALVIN SINGH

Performers

EKLIPSE ORCHESTRA

releasd by

SCHUBERT MUSIC AGENCY GmbH

„Du hast den Farbfilm vergessen“

Composer

MATTHIAS HARTH

Performer

BJELA PROKOVSKY

released by

HARTH MUSIK PRO MUSICA VERLAG

„Journey To Hope“

Composer/Preformer

HELEN NEIKES

„Fire and Milk“

Composer/Performer

JOSEPH TIEKS

released by

MiCa Filmproduktion

„Siesta I Amore“

by

„THE NOISE COOPERATION“

ANDREAS KRAMPF

(Composer/Guitar)

LEO SCHÖNING

(Mixing)

released by

ZK Concerts

 

„Mein Gott erbarme dich“

Composer/Preformer

JOHANN SEBASTIAN BACH

FALK SCHÖNFELD

(Composer/Pianos)

MATTHIAS HÜBNER

(Bridge Instruments)

LEO SCHÖNING

(Mixing)

released by

ZK Concerts

 

„Bella Ciao – Variation“

Composer

UNBEKANNTE REISPFLÜCKERIN

coverd by

„THE NOISE COOPERATION“

Preformer

ANDREAS KRAMPF

(guitar)

LEO SCHÖNING

(Mixing)

released by

ZK Concerts

 

„Paco on valium“

composer & preformer

JOSEF TIEKS

released by

MiCa FILMPRODUKTION

„Those were the days – Variation“

Composer/Lyrics

GENE RASKIN

Performers/Mixing

„THE NOISE COOPERATION“

MARIKA BRAUER

(Vocals)

Andreas Krampf

(Composer/Guitar)

LEO SCHÖNING

(Mixing)

released by

ZK Concerts

 

Thanks to:

ANGELA HERB

VIRGINIA FAYROUZ-BRAUN

HEIKE SAUER

ELVIRA MÖLLER

DR. MED SASCHAC.GÖBE

DR. HERBERT KINDERMANN

DR. MATHIASGRIETHE

RALF LEHMANN

RALF BÖKAMP

CHRIS JUNGMEISTER

LUCIANO-JACKY BECKER

MARLEEN SCHULZE

TILL BUHR

OFER KNOCH

AYMET SEHMER

ÓLAFUR ÖRN ARNARSON

KAREN LÖNNEKER

STEFAN SCHOLTEN

CARLA KREY

PATRICK KREUSER

HUBERT MEUHLENBACHER

ANDREAS SCHWALBE

CHRILLE FRITZ

MARGARETE HEITMÜLLER

MARGRET BARTHOLOMÉ

ANIMAL SHELTER AGONDA

SANDY FEET AGONDA

ST. MATTHEUS FRIEDHOF SCHÖNEBERG

BENJAMIN FRANKLIN KRANKENHAUS

SEGENSBÜRO

SUSAN KACHEL

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