Prinz in Hölleland
(Spielfilm, Deutschland 1993, 16mm, 90 min, Farbe, Regie: Michael Stock, Buch: Michael Stock, Stefan Laarmann, Wolfram Haark, FSK: 16, Sprache: Deutsch, Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte, Englisch, Französisch, Spanisch, Verleih: Salzgeber Medien)
Synopsis:
Berlin, Anfang der 1990er. Jockel und Stefan sind ein schwules Paar. Wie viele sind sie aus der Provinz gekommen, um hier ein freieres und geiles Leben zu führen. Sie wohnen auf dem Bauwagenplatz, gehen beide auch mal mit Micha ins Bett und hängen mit den Junkies am Kottbusser Tor ab. Jockel hat gerade das Heroin entdeckt – und zwischen Highsein und Entzugserscheinungen verliert er allmählich Stefan und die Freiheit aus den Augen. Der Narr Firlefanz erzählt ihm das Märchen vom Prinz in Hölleland, der den schönen Müllersbuschen liebt, aber vom Pulver des bösen Zaubers auf den falschen Weg gebracht wird. Für den Prinz geht die Geschichte gut aus – aber auch für Jockel und Stefan?
Der Debütfilm von Michael Stock („Postcard to Daddy“) ist ein direkter, dreckiger, poetischer Szenefilm. Gedreht wurde in Kreuzberg an legendären Orten wie dem Café Anal. Fassbinder-Star Harry Baer und Sängerin Andreja Schneider haben Gastauftritte. Beim Max Ophüls Film Festival in Saarbrücken erhielt „Prinz in Hölleland“ den Publikumspreis. Und auch zwischen den USA und Japan war man von der ungeschönten Sprache und der unverblümten Erotik des kleinen, sexy Indie-Films aus Deutschland begeistert. Ein wunderbares queeres Märchen! Rainer Werner Fassbinders Regieassistent und Darsteller Harry Baer spielt den bizarren Dealer. Die Filmmusik steuert Alexander Hacke und Band der „Einstürzende Neubauten“ bei.
Zur DVD im Salzgeber.shop: https://salzgeber.shop/startseite/1873-prinz-in-hoelleland.html „Die Hölle sind wir“ von Axel Schock geschrieben für die „Sissy“
„… Um in der Hölle zu landen, muss man weder gläubig noch tot sein. Die Hölle ist auch sehr gut im Diesseits und unter Lebenden zu finden. In Michael Stocks Debütfilm ist sie im Kreuzberg rund um den U-Bahnhof Kottbusser Tor verortet, inmitten der dortigen Drogen- und Hausbesetzer:innen-Szene. Die Berliner Mauer ist bereits Geschichte, die Spuren der Teilung sind jedoch noch lange nicht weggentrifiziert. Noch gibt es zwischen den heruntergekommenen Mietshäusern jede Menge Brachland und Freiräume – und Platz für alternative, linke Lebensmodelle. So wie in „Prinz in Hölleland“ die in einer linksautonomen Bauwagenburg angesiedelte fragile und letztlich zum Scheitern verurteilte schwule Dreiecksbeziehung.
In der Verachtung des kapitalistischen Systems und seiner Mechanismen ist man sich einig. Doch beim Verständnis der ganz individuellen Freiheit klaffen die Vorstellungen von Stefan und Jockel schon eine ganze Weile auseinander. Stefan wünscht sich Treue und Verbindlichkeit in seiner Beziehung. Für „unpersönliche Orgasmen“ ist er nicht zu haben. Seinen Lebensgefährten Jockel jedoch treibt es hinaus, er will genau diese Form der sexuellen Freiheit ausleben. Sind diese zwei Typen, die Jockel und Stefan von einem Auto heraus beobachten Zivilfahnder? Oder doch nur Lederkerle? Jockel lässt es drauf ankommen. Sie folgen ihm tatsächlich in einen Altbaukeller und Jockel lässt sich von den beiden Männern mit Lust und Glückseligkeit in den Augen benutzen. Stefan steht währenddessen auf der Straße Schmiere. Oder wartet einfach nur, bis es vorbei ist.
Auch wenn Stefans Liebe für Jockel und seine Fürsorge für ihn noch so groß sein mag – ihre Beziehung hat da bereits tiefe Risse. Dass beide parallel mit dem Schweizer Wagenburg-Bewohner Micha eine Affäre beginnen, erscheint auf den ersten Blick wie ein versöhnender Kompromiss, mit dem diese unterschiedlichen Bedürfnisse erfüllt und die brennende Eifersucht überdeckt werden könnten. Doch die Abwärtsspirale ist damit nicht mehr aufzuhalten. Dass sie gemeinsam durch die Straßen Kreuzbergs ziehen, um Plakate zu kleben, die vor Heroindealern im Kiez warnen, muss Stefan im Nachhinein grotesk erscheinen – denn Jockel hängt längst selbst an der Nadel.„Prinz in Hölleland“, vor ziemlich genau 30 Jahren gedreht, wirkt heute in vielfacher Hinsicht aus der Zeit gefallen. Das Debüt des damals 25-jährigen Michael Stock spielt an Orten, die durch die städtebaulichen und stadtpolitischen Entwicklungen längst verschwunden sind, und mit ihnen – bis auf wenige Ausnahmen – auch die Versuche autonomer Wohnprojekte und alternativer, nichtkommerzieller (schwuler) Lokale wie das legendäre „Café Anal“. In dieser trashig-glitzernden Bar sitzen queere Punks, Anarchos und Tunten einträchtig beim Bier und die damals kaum bekannte Andreja Schneider – sie wurde quasi nach Drehschluss festes Ensemblemitglied der Geschwister Pfister – raunzt mit butch-aggressiver Attitude ein „Chanson vom Trinken“.
Aus einer allzu fernen Zeit erscheint ein Film wie „Prinz in Hölleland“ zudem durch seine fantasievolle, zum Teil auch sich selbst überfordernde freie Form, wie sie womöglich nur in diesen Berliner Zwischenjahren nach dem Mauerfall möglich war. Mit einem kleinen Budget – angeblich waren es gerade mal 130 000 D-Mark – einen ansehnlichen und keineswegs unaufwendigen Film zu Wege zu bringen, dazu braucht es neben reichlich Improvisationstalent unter anderem auch gute Kontakte in die freie Künstler:innen-Szene und deren Lust zur Selbstausbeutung. Wie das geht, dürfte Michael Stock bei seinem Förderer und Lehrmeister Rosa von Praunheim gelernt haben. Die Hauptrolle des Jockel spielt Stock selbst. Neben Newcomern (Andreas Stadler in seinem Leinwanddebüt) und überzeugenden Laiendarstellern wie Stefan Laarmann (Stefan) findet sich im Cast mit Harry Baer auch ein gestandener Schauspieler aus der Fassbinder-Familie. Baer spielt einen jener Typen, vor denen Stefan auf seinen selbstgefertigten Plakaten warnt: ein schmieriger Drogendealer, der in seiner gepflegten Altbauwohnung Drogen jeglicher Art bunkert. Einer, der die Endverbraucher auch mal mit sexuellen Dienstleistungen bezahlen lässt, wenn sie knapp bei Kasse sind.
Parallel zum Liebes- und Drogendrama um Jockel, Micha und Stefan erleben wir ein Puppentheaterspiel – dargeboten von einem mittelalterlich kostümierten, halbnackten Hofnarren. Das von ihm vorgetragene Märchen um einen armen Müllersburschen, der einem Prinzen von der Macht des Zauberers Ätschibätschi und der Wirkung seines weißen Giftes befreien will, spiegelt und kommentiert die Haupthandlung. Das Märchen immerhin geht gut aus: Prinz und Müllersbursche dürfen vor den Traualtar treten. Für Jockel, Stefan und Micha hingegen kennt die Geschichte kein Happy End. Und selbst für den vorlauten, zunehmend bedrohlich wirkenden Puppenspieler hat das Autorentrio noch eine überraschende, die Erzählebenen überblendende Wendung ausgedacht. Das Verständnis von Freiheit, dem Jockel, Stefan, Micha und ihre Mitkommunard:innen nachhängen, hat sich da längst als (Selbst-)Lüge entpuppt. Denn diese Freiheit entbindet einen nicht von der Verantwortung für das eigene Leben und das der geliebten Menschen. Die Hölle, das sind eben nicht die andern, wie es in Jean-Paul Sartres vielzitierter, oft falsch verstandene Sentenz heißt. In Michael Stocks Drama hat Jockel die Hölle selbst bereitet sich und seinen Geliebten…“
Axel Schock, „Sissy“
Prinz in Hölleland – internationale Film Festivals (Auswahl):
1993-2020, Official selected“ im Program an diversen internationalen und LGBTI Film Festivals Retrospektiven, Hochschulen und Universitäten: WP Max Ophüls Film Festival, Sundance International Film Festival, New York Film Fest, Outfest Los Angeles, LGTBIQ Film Festivlas in Chicago, Boston, Washington, Seattle, Austin, St Peterburg, Kiew, Moscow, Osaka, Tokyo, Tel Aviv, Reykjavik, Stockholm, Upsala, Oslo, Helsinki, Kopenhagen, Amsterdam, London, Paris, Mailand, Turino, Lisboa, Madrid, Barcelona, Athen, Zürich, Locarno…. u.v.m.
Crew:
Directed by Michael Stock
Written by Michael Stock, Stefan Laarmann, and Wolfram Haack
Cinematography by Lorenz Haarmann
Edited by Uwe Lauterkorn
Sound by Margarete Heitmüller
Music by Tom Stern, Alex Hacke, Chrislo Haas, Ash Wednesday, Andreas Vetter, Alexander Christou
Puppets and Puppet Theatre Design by Moss Fitzpatrick, Michael Stock
Director Assistant Bastian Krondorfer
Cast:
Michael Stock as Jockel
Stefan Laarmann as Stefan
Andreas Stadler as Micha
Wolfram Haack as Firlefanz (the Jester)
Nils-Leevke Schmidt as Sascha
Simone Spengler as Sabine
Harry Baer as Ingolf
Andréja Schneider as the Singer
Agnes Müller as Women in Bar
Uwe Lauterkorn as Man in Bar
Gerd Kortrezwa as Tramper
Heny Fenrich as 1.Letherman
Dirk Ludigs as 2. Letherman
Alexander Schröder as 1. Killer
Oliver Picot as 2. Killer
Pat Schneble as 1.Tunte
Volker Paravacini as 2. Tunte
Elese Elsterhof as 1. Dragqueen
Markus Zerki as Drunken Proll
Paule as Junky
Susanne Held as Junky
Nicole Schöner as Junky
Daniel Stump as Junky